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Channel: Seite 1710 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Aus dem Amtsgericht Nauen: Flucht übern Acker

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Ende Juni musste eine Nauenerin auf der Anklagebank im Amtsgericht Nauen Platz nehmen. Interessant wird der vor dem Schöffengericht verhandelte Fall, weil hier eine Vielzahl von Vergehen zusammenkommen – und die Gerichtsverhandlung am Ende doch noch eine unerwartete Wendung nimmt. Darum ging es: „Die Angeklagte soll Bauwerkzeuge aus einem Baumarkt entwendet und sodann unter Verwendung falscher Kfz-Kennzeichen ein nicht haftpflichtversichertes Fahrzeug geführt haben, ohne im Besitz einer hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein.“

Der Fall stellt sich zunächst – aus der Sicht der Staatsanwaltschaft – wie folgt dar: Die Angeklagte soll im April 2019 zusammen mit ihrem Lebensgefährten einen Baumarkt in Nauen besucht haben. Hier soll sie einen Winkelschleifer mit Akku aus den Regalen genommen haben, um die etwa 150 Euro teuren Gerätschaften anschließend vom Freigelände des Baumarktes aus über den Zaun auf einen dahinter liegenden Acker zu werfen. Hier soll der Lebensgefährte die Pakete aufgesammelt und in ein Auto verladen haben.

Neben dem Diebstahl der Werkzeuge wiegt in der Anklage auch schwer, dass die Angeklagte das „Fluchtauto“ gesteuert haben soll, ohne einen Führerschein zu besitzen. Auch sei das Auto nicht versichert gewesen. Und dann seien gestohlene Kennzeichen von einem anderen Wagen an dem Auto befestigt gewesen, „um eine amtliche Zulassung vorzutäuschen.“

Die Angeklagte ist den Tränen nah, die Verteidigung führt an: „Die Angeklagte möchte ihr Leben umkrempeln, sie sei absolut drogenfrei und sie kommt allen Auflagen nach.“

Tatsächlich habe die Angeklagte bislang noch nicht viel in ihrem Leben erreichen können. Sie habe die Schule nach der 8. Klasse abgebrochen. Eine Ausbildung gibt es nicht. Dafür ein Kind. Eine Rente von 856 Euro würde auf die Grundsicherung aufgestockt werden. Seit 2017 steht die Angeklagte unter Betreuung, was die Finanzen, die Wohnsituation und die Gesundheitsvorsorge betrifft. Obwohl ihr Lebensgefährte bereits selbst im Gefängnis sitzt, sei eine Hochzeit geplant. Um dann ein neues Leben anzufangen. Wegen anderer Vergehen steht aber auch bei der Angeklagten eine längere Gefängnisstrafe an. Bis zu einer Familienzusammenführung könnte es also dauern.

Die überraschende Nachricht vor Gericht: Die Angeklagte sei technisch überhaupt nicht dazu in der Lage, das Auto gefahren zu haben. Ihr Freund sei das gewesen. Das würde natürlich einen Großteil der Anklagepunkte wegfallen lassen. Zumal ihr das Auto nicht gehört.

Das ist der perfekte Zeitpunkt, um den ersten Zeugen in den Gerichtssaal zu bitten. Das ist ein Fernfahrer, der auf dem Hof des Baumarktes Möbel geladen hatte. Er hat beobachtet, wie „ein junger Mann hektisch die Böschung rauf und runter gelaufen ist und am Ende Pakete eingesammelt hat.“ Das kam ihm komisch vor und so hat er den Baumarkt informiert, „dass da wohl geklaut wird.“ Der Zeuge und auch der herbeieilende Baumarktleiter sahen den Wagen wegfahren. Beide haben bei der Eingangsvernehmung zu Protokoll gegeben, dass die Frau das Auto gefahren hat.

Vor Gericht sieht das auf einmal anders aus. Der Fernfahrer glaubt sich nun auf einmal zu erinnern, dass der Mann das Auto gesteuert habe: „Mit einem Basecap auf dem Kopf.“ Der Baumarktleiter ist sich aber weiterhin sicher: „Die Frau saß am Steuer.“

Viele Details lassen sich nicht mehr klären. Auch, weil sich zehn Monate nach dem Vorfall niemand mehr wirklich klar an die Details erinnern kann. Der eine oder andere Zeuge hat sogar Probleme damit, sich verständlich zu artikulieren. Und eine wichtige Zeugin sei inzwischen verstorben.

Die Indizienlage bleibt dünn: Es gibt nur indirekte Beobachtungen und einander widersprechende Aussagen. Am Ende wird das Verfahren wegen der „puzzleartigen Zeugenaussagen“ vorläufig eingestellt. Da es zu einem alten Urteil einen Bewährungswiderruf gibt und eine aktuelle Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe nur durch eine erfolgreiche Revision aufgehoben werden kann, wird die Nauerin so oder so eine Strafe hinter Gittern verbüßen müssen. (Text/Foto: CS)

Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 173 (8/2020).

Der Beitrag Aus dem Amtsgericht Nauen: Flucht übern Acker erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.


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