Wie ist das eigentlich, wenn das eigene Leben seinen Ursprung in der DDR genommen hat? Heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, wissen das die Jüngeren nicht auch nur ansatzweise – sie sind in einem ganz anderen Deutschland aufgewachsen. Nur noch wenige typische DDR-Produkte gibt es weiterhin im Supermarkt zu kaufen. Etwa den nussigen Brotaufstrich Nudossi. Die Schokolade Bambina. Die Kathi-Backmischungen. Oder Rotkäppchen-Sekt.
Den Finger in Nudossi-Creme zu tauchen kann einem jungen Menschen aber nicht vermitteln, wie es damals war, im Kinderzimmer ATZE-Comics zu lesen und „Alfons Zitterbacke“ auf dem Ziphona-Plattenspieler zu hören. Wie es war, mit „Alu-Chips“ im Konsum zu bezahlen. Wie es war, wenn die Großmutter mit der Kittelschürze am Herd stand, während Opa mit seinen Freunden Karten mit Eicheln und Schellen zockte und dabei Edel Weinbrand süffelte.
Die Gerüche, die Bilder, die Produkte und die Lebensart der DDR im typischen 70er-Jahre-Schick bringt nun eine Ausstellung in der Stadt Nauen wieder ins Gedächtnis der Menschen zurück. Die Ausstellung „Alltag in der DDR“ öffnete am 13. September ihre Pforten – und zwar im 1750 erbauten Richart-Hof (Gartenstraße 27). Noch bis zum 7. Mai 2021 lassen sich vor Ort knapp 500 Exponate bestaunen. Der Eintritt kostet nur einen Euro. Und wer diese kleine Summe investiert, kann sogar ein echtes Aluminium-Essbesteck aus der DDR mit nach Hause nehmen. Richtig, genau das Besteck, bei der sich die Gabel bereits munter verformte, wenn man nur versuchte, frisch gekochte Kartoffeln zu zerquetschen.
Danila Link-Wegener, Gerda Graßmann und Ilona Smykalla aus dem Kulturbüro Nauen haben die meisten Ausstellungsstücke aus dem eigenen Familienfundus bergen können. Vieles wurde zum Glück aufgehoben und so für die Nachwelt bewahrt. Wie sonst soll man der neuen Generation zeigen, dass es einmal Eierbecher aus Plastik gab, die wie bunte Hühner geformt waren?
Gerda Graßmann: „Drei Viertel der Exponate kamen von den Mitarbeitern des Kulturbüros. Etwa ein Viertel haben wir bei eBay Kleinanzeigen eingekauft. Wir können uns vorstellen, dass auch so mancher Besucher noch etwas beisteuern möchte.“
Die Ausstellung führt durch mehrere Räume. Sehr anschaulich bietet jeder Raum eine ganz eigene Themenwelt an – und damit eine kleine Reise zurück in die Vergangenheit. Von der Küche über das Kinderzimmer bis zum Wohnzimmer der Eltern geht die Reise. Da stößt man auf ein komplettes Set der alten DDR-Münzen, die man in ihrer schnörkellosen Schlichtheit fast schon aus dem Gedächtnis gestrichen hat. Ganz egal, ob es um Reizwäsche von Stretta, um DDR-Brausepulver mit Fruchtgeschmack, um die berühmte Rotsternschokolade, um Puddingpulver von Rotplombe, um Kahlaer Porzellan oder um Gewürze aus Schönbrunn geht: Viele der älteren Besucher, die am Eröffnungstag die Ausstellung besucht haben, fühlten sich vom Anblick der Exponate unmittelbar zurück in die Vergangenheit befördert.
Toni Oheim, der in Nauen die „Märkische Klause“ führt und den Nauener Frauenchor leitet, war jedenfalls sichtbar gerührt vom Exkurs auch in die eigene Vergangenheit: „Man erkennt alles sofort wieder. Das, was in der Ausstellung zu sehen ist, hat man damals tatsächlich gehabt. Vor allem die Küche erinnert mich sehr an unsere eigene damals. Aber auch die Accessoires stimmen alle – von der Gardine bis hin zum Geschirr. Ich habe selbst noch viele Dinge von früher. Wir haben uns damit ja auch wohl gefühlt, es war ja nicht alles schlecht. In der Ausstellung kann man in Erinnerungen schwelgen, da muss man sich schon zusammenreißen.“
In der Ausstellung findet man die typischen Schulhefte aus der DDR, Telefonapparate mit Wählscheibe, Fußpuder „gegen Fußschweiß und lästigen Geruch“, Platten von den Puhdys, Semper Zigaretten und die damalige DDR-Fernsehzeitschrift „FF dabei“. Es lohnt sich, den Blick ein wenig schweifen zu lassen. Dann findet man auch schon einmal den originalen Antrag eines DDR-Bürgers, der gern einen Fernsprechanschluss haben möchte. Oder das kecke Plattencover mit dem auch heute noch rotzfrechen Werbespruch: „Wittstock statt Woodstock – Blues in der DDR“.
Gerda Graßmann: „Es gibt viele originale Dokumente in der Ausstellung, auch alte Zeitungen. Ich habe viel Spielzeug von damals beisteuern können. Meine Tochter spielt auch heute noch gern damit. Aber damals war das schon anders. Wir waren ja immerzu draußen und haben im Freien getobt und gespielt. Viel Küchenkram kommt von meinen Eltern, die haben im Keller ganz viel aufbewahrt.“
Zu den ersten Besuchern der Ausstellung zählte auch die erste Beigeordnete und stellvertretende Bürgermeisterin von Nauen – Daniela Zießnitz: „Ich bin ja im Westen aufgewachsen. Wir hatten aber Verwandschaft in der DDR. Wir haben uns damals wechselseitig Pakete zu Weihnachten geschickt. So haben wir Ost-Pakete mit Produkten aus der DDR bekommen. Ich habe noch heute den besonderen Geschmack der Ost-Weihnachtsmänner auf der Zunge. Ich bin sehr neugierig auf die Ausstellung, vieles davon habe ich ja noch nie zuvor gesehen. Generell muss ich aber auch sagen, dass das Team vom Kulturbüro ihre Ausstellungen immer mit sehr viel Liebe zum Detail zusammenstellt.“
„Mit sehr viel Liebe“ – dazu passt auch die kulinarische Versorgung vor Ort. Es gibt Rondo-Kaffee, Kalten Hund, Schneewittchenkuchen und eine deftige Soljanka-Suppe nach DDR-Rezept. Eine Besucherin fragte: „Ja, wo haben Sie den Kuchen denn her?“ Gerda Graßmann: „Das haben wir alles selbstgemacht.“ So gelingen wunderbare Ausstellungen. (Text / Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 175 (10/2020).
Der Beitrag Alltags- und Wohnkultur in der DDR: Neue Ausstellung in Nauen! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.